Der Hasenfuß

Coyote saß auf einem Hügel und dachte darüber nach, was er wohl mit seiner Zeit anfangen sollte. Plötzlich sah er den Hasen in voller Fahrt auf sich zukommen. "Warum rennst du denn so?" fragte er den Hasen. "Ich laufe weg, so schnell ich kann!" keuchte dieser, und da war er auch schon vorbei. Coyote kratzte sich hinter dem Ohr und überlegte: "Wenn der Hase so schnell läuft, hat er sicher seine Gründe. Am besten ist es, wenn ich mich ebenfalls aus dem Staube mache." Damit setzte er sich in Trab und lief hinter dem Hasen her.

 

Als Coyote gerade einen Bach überquerte, traf er den Wolf. "Bruder Coyote, wohin denn so eilig?" fragte ihn dieser. "Ich verschwinde, so schnell ich kann!" antwortete jener, und da war er auch schon in der Prärie.

 

"Hmm, da stimmt doch was nicht!" dachte der Wolf. "Wenn Coyote, der doch ein gerissener Bursche ist, so flink ausreißt, dann ist bestimmt irgendwo was los. Da tue ich wohl besser, wenn ich mich ebenfalls verziehe."

 

Damit machte sich der Wolf auf den Weg und folgte dem Coyoten.

 

Nachdem der Wolf eine Weile gelaufen war, traf er Grizzly, den Bären. Der war gerade beim Fischfang und warf erstaunt den Kopf auf, als er den Wolf daher preschen sah. "He, Bruder Wolf, warum die Eile?" - "Ich verschwinde so flink wie möglich..." Den Rest konnte Grizzly nicht verstehen, denn der Wolf war schon zu weit weg.

 

"Aha", dachte der Bär, "wenn Bruder Wolf es so eilig hat, dann ist es höchste Zeit, auch zu verschwinden. Höchste Zeit, dass ich nach Hause komme, wirklich höchste Zeit." Und sogleich setzte er sich in seinen gewohnten Zuckeltrab und folgte dem Wolf.

 

Nach einer Weile sah er seinen Freund, den Wolf, mitten in der Prärie auf den Hinterkeulen sitzen. Nicht weit entfernt von ihm saß der Coyote. Und ein bisschen weiter, ganz außer Atem, der Hase. Als Grizzly herangekommen war, fragte er ganz verdutzt: "Warum sitzt ihr denn hier alle so herum? lch dachte, du hattest es so eilig? Warum, Bruder Wolf, bist du denn so schnell gelaufen?"

 

"Oh", erwiderte dieser, "ich sah den Coyoten vorbeilaufen, und da dachte ich mir: "Besser ist besser"; und so bin ich auch weggelaufen. Wenn du genau wissen willst, was los war, müssen wir schon den Coyoten fragen."

 

"He, Coyote, warum bist du so gerannt?"

 

"Ich weiss nicht", war die Antwort. "Ich sah den Hasen vorbeiflitzen, und da habe ich mich vorsichtshalber auch auf die Socken gemacht. Fragt doch ihn, warum er es so eilig hatte."

 

Der Hase war noch ganz ausser Atem, als die drei bei ihm ankamen. "Warum bist du nur so schnell gelaufen?" fragte der Bär, dem die ganze Sache auf die Nerven fiel. "Oh", antwortete der Hase, "oh, ich war gerade dabei, Weidenspitzen zu fressen, als mit großem Getöse eine Ladung Schnee von einer Tanne fiel. Da habe ich mich so erschrocken, dass ich einfach fortgerannt bin. Beinahe wäre nämlich der Schnee genau auf meinem Kopf gelandet, und der Gedanke allein macht mich krank."

 

Da brachen der Bär, der Wolf und der Coyote in ein Gelächter aus, dass es meilenweit zu hören war. Der Hase aber schüttelte betrübt den Kopf, dachte an die zarten Weidenspitzen und an seinen Magen und machte sich zaghaft auf, um zu seiner Mahlzeit zurückzukehren.

 

Quelle: Märchen der nordamerikanischen Indianer, rororo-Verlag (Reihe Diederichs Märchen der Weltliteratur)