Die Bienenkönigin

 

Nach der Geschichte Nr. 194 aus den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm

 

Die Bienenkönigin   

 

(bearbeitet von Angelika Schütte)

 

Vor langer Zeit oder war es vielleicht gerade heute?

 

da gingen zwei Königssöhne einmal auf Abenteuer in die weite Welt. Dabei gerieten sie in ein wildes, wüstes Leben, so dass sie gar nicht wieder nach Haus kommen konnten. Der König machte sich große Sorgen.

 

Nun war nur noch der jüngste Sohn zu Hause. Der bat den König: „Vater lass mich gehen und meine Brüder suchen.“

 

Den Jüngsten aber nannten alle nur den Dummling und deshalb wollte der Vater ihn erst nicht gehen lassen. Aber der Dummling bat und bettelte. Dann machte sich dennoch auf den Weg und suchte seine Brüder.

 

Endlich fand er sie: „Lasst mich mit euch ziehen“, bat er die Brüder. Sie aber verspotteten ihn: „Du bist der Dummling. Wie willst du durch die Welt kommen in deiner Einfalt, wenn wir es noch nicht einmal schaffen, wo wir doch viel klüger sind als du“, sagten sie und lachten ihn aus. Um zu zeigen wie großartig und mutig die beiden ältesten waren gingen sie los. „Bleib da, du bis zu dumm“, sagten sie.

 

Der Dummling aber ging einfach mit ihnen und so blieb ihnen nichts anderes übrig. Sie zogen alle drei miteinander fort.

 

Bald schon kamen sie in einen Wald und sahen einen Ameisenhaufen. Die zwei ältesten wollten ihn aufwühlen und mit den Stöcken hineinstechen. Sie wollten sehen, wie die kleinen Ameisen in der Angst herumkriechen und ihre Eier forttragen würden. „Das ist bestimmt lustig“, meinte der Älteste. Aber der Dummling stellte sich vor den Ameisenhaufen und sagte: »Lasst die Tiere in Frieden, ich werde nicht, zulassen, dass ihr sie stört!« Die Brüder lachten ihn aus: „Der Dummling ist ein Ameisenfreund!“ Aber sie gingen weiter.

 

Bald kamen sie an einen See, auf dem schwammen viele, viele Enten. Die zwei Brüder riefen: „Komm, lass uns Enten fangen und braten!“ Aber der Dummling ließ es nicht zu und sprach: »Lasst die Tiere in Frieden, ich will nicht, dass ihr sie tötet!« Die Brüder murrten ein wenig, aber dann gingen sie doch weiter.

 

Als sie nach einer Weile an ein Bienennest kamen und darin so viel Honig war, dass er am Stamm herunterlief, wollten die beiden ältesten Feuer unter den Baum legen. So sollten die Bienen ersticken, damit sie den Honig wegnehmen könnten. Der Dummling hielt sie aber wieder davon ab, trat das Feuer aus und sprach: »Lasst die Tiere in Frieden, ich will nicht, dass ihr sie verbrennt!«

 

Endlich kamen die drei Brüder in ein Schloss. Aber seltsam, in den Ställen standen lauter versteinerte Pferde. Es war auch kein Mensch zu sehen. Sie gingen durch alle Ställe, bis sie vor eine Türe ganz am Ende kamen. Davor hingen drei Schlösser. Es war aber mitten in der Türe eine kleine Klappe, dadurch konnte man in die Stube sehen.

 

Darin saß ein kleines, graues Männchen an einem Tisch. Sie riefen es an: „Hallo, öffne uns die Tür!“ Sie riefen einmal, zweimal, aber es hörte sie nicht. Endlich riefen sie zum dritten Mal; da stand es auf, öffnete die Schlösser und kam heraus.

 

Es sprach aber kein Wort, sondern führte sie zu einem reich gedeckten Tisch und zeigte ihnen, dass sie essen sollten. Als sie gegessen und getrunken hatten, brachte das kleine Männchen sie in ihre Schlafzimmer, ein jeder in sein eigenes.

 

Am andern Morgen kam das graue Männchen zu dem ältesten, winkte ihn herbei und führte ihn zu einer steinernen Tafel, darauf stand geschrieben:

 

„Dieses Schloss ist verwunschen. Wenn einer das Schloss erlösen will, muss er drei Aufgaben erfüllen. Wer dies nicht schafft, der wird in Stein verwandelt. Wer es aber schafft, der sollt die Prinzessin zu Frau haben und König werden.

 

Die erste Aufgabe ist:

 

In dem Wald unter dem Moos liegen die Perlen der Königstochter, tausend an der Zahl; die müssen aufgesammelt werden bis zum Abend. Wenn vor dem Sonnenuntergang noch eine einzige fehlt, so wird der, welcher gesucht hat, zu Stein.

 

Der älteste ging hin und suchte den ganzen Tag, als aber der Tag zu Ende war, hatte er erst hundert gefunden. Und dann geschah, wie es auf der Tafel stand: Er wurde in Stein verwandelt.

 

Am folgenden Tage unternahm der zweite Bruder das Abenteuer. Es ging ihm aber genauso wie dem ältesten, er fand nicht mehr als zweihundert Perlen und wurde zu Stein verwandelt.

 

Endlich kam auch der Dummling an die Reihe. Der suchte die Perlen im Moos. Aber es war so schwer, die Perlen zu finden und es ging so langsam. Da setzte er sich auf einen Stein und weinte. Und wie er so saß, kam der Ameisenkönig, dem er einmal das Leben gerettet hatte, mit fünftausend Ameisen. Da dauerte es gar nicht lange, so hatten die kleinen Tiere die Perlen miteinander gefunden und auf einen Haufen getragen.

 

Nun musste der Dummling die zweite Aufgabe lösen. Die lautete:

 

Du sollst den Schlüssel zu der Schlafkammer der Königstochter aus dem See zu holen. Der See aber war tief und dunkel, wie sollte er da den Schlüssel finden?

 

Wie der Dummling zum See kam, schwammen die Enten, die er einmal gerettet hatte, heran, tauchten unter und holten den Schlüssel aus der Tiefe heraus.

 

Die dritte Aufgabe aber war die schwerste:

 

Du sollst von den drei schlafenden Töchtern des Königs die jüngste und die liebste herausfinden.

 

Sie sahen aber alle vollkommen gleich aus und waren durch nichts zu unterscheiden. Nur hatten die drei vor dem Einschlafen verschiedene Süßigkeiten gegessen. Die älteste ein Stück Zucker, die zweite ein wenig Sirup, die jüngste einen Löffel Honig.

 

Da kam die Bienenkönigin von den Bienen, die der Dummling vor dem Feuer beschützt hatte. Sie leckte am Mund von allen dreien. Zuletzt blieb sie auf dem Mund sitzen, der Honig gegessen hatte, und so erkannte der Königssohn die Richtige und wusste, dass dies die jüngste und liebste war.

 

Da war der Zauber vorbei. Das Schloss und alle, die darin waren wurden erlöst. Wer schlief, wurde wach und wer von Stein war, erhielt seine menschliche Gestalt wieder. Auch alle Pferde wurden wieder lebendig.

 

Der Dummling heiratete die jüngste und liebste Königstochter und wurde König. Seine beiden Brüder aber heirateten die beiden anderen Schwestern.

 

Und wie heißt es am Ende immer:

 

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.