Marktware

 

Christa wusste es. Ganz tief in ihrem Inneren wusste sie es schon lange. Sie arbeitete mehr und härter, um es nicht an die Oberfläche kommen zu lassen. Aber genauso gut wusste sie, dass es eines Tages passieren würde. Wie eine Luftblase immer den Weg nach oben nimmt, bis sie an der Wasseroberfläche zerplatzt, so wird es in ihr steigen bis zu dem Zeitpunkt, der genau hier und jetzt gekommen ist.

Sie konnte es nicht mehr ignorieren, nein das halbe Dorf stand da und sah, dass sie es sah.

Ihr Wohnwagen brannte. Als sie ankam löschte die Feuerwehr bereits. Ihr Mann Heribert stand neben Rudi, dem Leiter der örtlich freiwilligen Feuerwehr. Sie redeten, steckten die Köpfe zusammen. Als Rudi sie sah sagte er nur: „Da ist Christa. Na, mach schon! Wird einen schönen Krach geben, aber sie wird sich schon wieder beruhigen.“

Margret, aus dem Zuschauerbereich, zog Christa zu sich heran. „Da bist du ja. Er war mit der Frau Doktor im Wohnwagen. Wahrscheinlich haben sie geraucht, nachher mein ich, und sind eingeschlafen. Ja, schau mich nicht so an, das weiß doch jeder hier, dass er mit der -.“

Christa drehte sich weg und ging auf Rudi zu. „Jemandem etwas passiert?“ fragte sie. „Nein, nur der Wohnwagen ist fritte. Da musst du dir wohl ein anderes Urlaubsgefährt zulegen. Der ist nicht mehr zu retten. Tut mir leid, dass du es so erfahren musst.“

„Schon gut!“ antwortete sie und sah zu ihrem Mann hinüber.

Er stand da mit seiner Frau Doktor, der örtlichen Allgemeinmedizinerin und flüsterte beruhigend auf sie ein.

Etwa das halbe Dorf war zusammengelaufen. Schließlich ist sonst nicht viel los in diesem beschaulichen Örtchen. Und nun das! Ein Verhältnis, brennender Wohnwagen, die betrogene Ehefrau, Frau Doktor bei Doktorspielen mit dem falschen Patienten. Da musste die Laienspiel-Theatergruppe dieses Jahr aber in die Puschen kommen, um etwas Besseres aufzubieten. Und sie standen alle da, erwartungsvoll, gespannt. Wie geht es weiter?

Frau Doktor hatte es wohl kalt erwischt. Sie war in eine Feuerwehrdecke eingewickelt. Darunter hatte sie wenig, vielleicht auch gar nichts an. Ihr Mann hatte eine Hose an, seinen nackten Oberkörper schmückte ebenfalls eine Feuerwehrdecke. „Partnerlook?“, konnte sich Christa nicht verkneifen zu fragen.

„Ich weiß, das ist jetzt eine schlechte Situation Christa, aber bleib ruhig, wir werden in aller Ruhe zu Hause darüber reden. Glaub mir.“ Heribert bekam vor lauter Aufregung einen Hustenanfall. Frau Doktor sprang herbei klopfte ihm auf den Rücken. Die Zuschauer kamen näher, die Akustik war wohl nicht ausreichend.

Erwartungsvoll schauten sie auf Christa. Bilder entstanden in ihren Köpfen. Bei den Frauen so etwas: Christa, die mit einem schwungvollen Haken Frau Doktor ausknockte oder sie an ihren langen blonden Haaren quer über den Platz zog. Christa war kräftig und im Recht, fanden sie.

Bei den Männern entstanden andere Szenen in den hormongesteuerten Hirnen. So was wie: „Schön, Heribert - Frau Doktor - dann lasst es uns zu dritt versuchen.“

Heldenszenen flammten in ihren Köpfen auf, wie sie die betrogene Christa im Arm haltend, auf ein Trösterstündchen für sich hatten.

Frau Doktor kam auf Christa zu: „Es tut mir leid“, sagte sie. „Wir wollten dich nicht verletzen. Aber glaube mir, von nun an ist es vorbei. Wirklich, wir -“.

Jetzt standen sie alle da, direkt um sie herum, wie früher in der Schule. Wenn sich zwei streiten, wollen alle dabei sein, den Kampf miterleben, hören, sehen, am liebsten Blut.

Christa schluckte und schaute die nackten Beine der Medizinerin und ihr verheultes Gesicht mitleidvoll an. Und das, was sie sagte wurde vom Laienspiel-Theaterverein übernommen, denn zu toppen war es nicht.

Christa sah ihr fest in die Augen, dann zu ihrem Mann, dann wieder zu ihr und sagte:

„Was du angefasst hast, musst du auch behalten.“

Ohne ein weiteres Wort ging sie. Ließ das Schloss im Haus austauschen, stellte fünf Koffer vor die Türe und flog noch am selben Tag ab Düsseldorf Richtung Lanzarote